Gedanken zu 173 Kathedralen für die Welt Translations Kontakt Impressum


Geräusch-Klang-Schwingung


Dr.Gerhard Effertz Veröffentlichung in TOP Magazien 1989

Lust an der Provokation, der Hang zum Spiel, zum Überschreiten von Konventionen- das hat
sich geglättet. Die kreative Energie hat ihr Ziel, ihre Form gefunden. An die Stelle des Eruptiven, des Zufälligen, ist die ausgewogene Komposition getreten, die hintergründige und feinsinnige Welt des Klangs.
Als rasselnde Phantasiemaschinen à la Tinguely kommen sie daher, die früheren Skulpturen des Mladen Kunstic. Schnarrend-scheppernde, pfeifende Objekte, aus dem Chaos, aus stählernen Fundstücken geschöpft zu neuer Gestalt, neuer Ordnung, durch Bewegung zu geräuschvollem Leben erweckt, neuer Sinn in entfremdeten Dingen. In den neuen Arbeiten ist Kunstic stiller geworden. Das Vordergründige, fast Naiv-Spielerische ist gewichen. Die Objekte sind getragen von einem bewussteren, distanzierteren Gedankenprozeß, von einer ästhetische durchformulierten Sensibilität. Die Objekte, die Mladen Kunstic entwirft, Wolkenkratzerlandschaften, an Mumien und Vasen erinnernde, geschwungene, organische Formen, Augen und schwangere Leiber- all dies ist von einfühlsamer Poesie. Zentral ist hier der Aspekt der Bewegung geblieben.
„So wie die Bewegung in meinen Skulpturen vorhanden ist, so bin auch ich der Wille zur Bewegung, der Hang zum Forschen, Entdecken, der Drang zum Suchen. Die Freiheit zum Schaffen ist und bedingt für mich permanente Offenheit und Aktivität“. Durch Reduktion, den Verzicht auf das Augenfällige sichtbarer geworden, was in früheren Skulpturen in der Geräuschvielfalt eher unterging. Ursächlich ist hier, dass Kunstic mit Federstahlband sein übergreifendes Gestaltungsmittel gefunden hat. Die Bänder sind silbrig, von poliertem Glanz, die Skulpturen von einer glänzenden, glatten Ästhetik. Doch: Die Bänder rosten, oxydieren, verändern sich. Und gerade hier, in der Veränderung der glatten Struktur, liegt das Element der Bewegung. Wo die früheren Arbeiten noch bewegt werden mussten, so wird Schwingung nun im Stillstand sichtbar. Die atomare Bewegung von Materie, die innere, unsichtbare Bewegung eines Körpers gewinnt hier Gestalt in der allmählichen, immer weiter fortschreitenden Auflösung eines im Momentum festgehaltenen
Spannungszustandes. Aufgefangen in den Skulpturen ist das Schwingen von Materie, in der eingefassten, eingefangenen Vibration der still-klingenden Bänder. Diese verhaltene Schwingung ist auch jene der sich verändernden Natur, des Lebens an sich: Die Bänder ändern ihre Oberfläche, ihre Farbe. Oder sie machen, indem sie stets gleich bleiben, die Veränderung um sie herum bewusst. Neben der Entwicklung des Klanggeräusches zum Universellen, Sphärischen, neben der Verwendung neuer, alter Materialien wie Holz, Farbe und Lack liegt ein weiteres wichtiges Element darin, wie Kunstic in Bewegung bringt, Dinge und Gedanken in Gang setzt. Der Betrachter muß Stellung beziehen, und damit tritt er in einen Dialog mit der Skulptur ein. Auf diesen Schritt, die Entscheidung, kommt es Kunstic an. Der Kontakt ist nicht spontan. Er ist reflektiert. Betrachter und Skulptur verweben sich in den Raum eines kommunikativen Netzes, einer Spirale von Wahrnehmungen.
Meine Skulpturen sind Bilder. Sie sind Reliefs. Sie wachsen ins Dreidimensionale. Sie sind Oberfläche, gebrochene, gestufte, gewölbte Fläche, durchscheinende, zergliederte, zerteilte Oberfläche, die den Blick in das Innere durchlässt und ihn doch wieder freigibt“.
Kunstics Skulpturen sind immer dieser Kreis, eine Bewegung, die im Hineingehen auflöst, ein Verfließen von Historischem und Modernem, Mythischem und Maschinellem, Ruhendem und Sich-Bewegendem. Ein Prozeß der einbezieht und freisetzt. Diese Offenheit spiegelt sich in der Art und Weise, wie Kunstic sich mit Raum beschäftigt. Mit den Bändern setzt Kunstic die Auseinanderstzung mit dem Element Verpackung fort. Doch er verwendet Negativformen, die Verpackungen sind transparent. Kunstic produziert, ähnlich Fontana, der Leinwände aufreißt, eine aufgebrochene Äußerlichkeit, so wie die Bänder zugleich Verpackung sind mit allen Anspielungen und doch ihre eigene Form, ihren eigenen Raum besitzen.Einen Raum mit Kunstic-Energie: „ Ich kann nicht rasten, nicht stoppen. Ich möchte diese Freiheit, die mir gegeben wurde und die ich schaffe, so gut wie möglich nutzen“.
Kunstic hat mit seinen Bändern zu einem eigenen Stil gefunden. Bodenskulpturen, Wandskulpturen, Installationen. Und noch in diesem Jahr eine skulpturale Klanggeräusch- Inszenierung: In Fortsetzung der bereits in Köln gezeigten Flügel entwirft Kunstic Harfen, die sich im Wind bewegen. Im Wald aufgehängt, zwischen Bäumen. Oder in einer Fußgängerzone, zwischen Häuserzeilen. Eine leise, fast lyrische Arbeit, eine subtile, einfühlsame Reverenz an den existentiellen Klang. Wenn Mladen Kunstic jemand ist, der gerne fabuliert, mit einem Hang zum Philosophischen und Metaphysischen, so ist das Innehalten, das leise In-(Sich)-Hineinhorchen genau die Sprache, die seine Idee von Bewegung und Schwingung braucht. Kunstic hat seine Sprache gefunden.


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Die Klang-Skulpturen des Mladen Kunstic

Friedel Gersmann Veröfentlichung im Klenkes Aachen 1989

Musik im gebräuchlichen Sinne des Wortes ist eine besondere Organisationsweise- oder wie der Mathematiker sagt: ein Sonderfall von Klang. Das Besondere dabei liegt im Festlegen, im Eingrenzen von z.B. Tonhöhe, Rhythmus, Instrumentation, Klanggestalten; das Eingrenzen, gleichzeitig ein Aussondern, ermöglicht es unserem Hören, einem schlichten Saxophonton etwa eine eigene Qualität zu geben, unlösbar mit dem Wiedererkennen verknüpft: Aha, ein Saxophon; daran hängt meistens eine Empfindung, die Mögen und Nicht-Mögen, Bilder, Gefühle, Erinnerungen, Erwartungen auslöst.
Darin, in den Bedeutungen, die wir bereits einem einzelnen Ton a priori geben, die wir ausweiten in formelhaften Fixierungen von Dreiklangsfolgen, Metren, Rhythmen, musikalischen Formen, liegen auch Beschränkungen der Ausdrucksmöglichkeiten: Das Eingrenzen ermöglicht zwar wiedererkennbare Bedeutungen, aber das Wiedererkennen erschöpft den direkten, unmittelbaren Ausdruck und verwandelt ihn in eine Bestätigung des schon Bekannten. Diese Beschränkung nehmen viele Klangschaffende zunehmend als zu eng wahr. Es gibt, so lautet der Gedankengang, eine Reihe von neuen Qualitäten und Intensitäten, die sich mit den alten Klangmitteln nicht mehr nachvollziehen lassen. Als ein Beispiel für die Suche nach neuen, intensiven Möglichkeiten musikalischen Ausdrucks sei die Musik von John Cage genannt.
Seinen und zahllosen anderen Versuchen ist eigen, dass sie keine vorgefasste Bedeutung ausdrücken; Bedeutung geben wir ihnen, indem wir uns auf sie einlassen, eine Verbindung mit ihnen eingehen, sie als Ausdruck von etwas nur erst Latentem in uns erkennen.
Hier stehen und entstehen die Klang-Skulpturen des in Würselen lebenden Künstlers Mladen Kunstic: Sie sind (sofern ausgestellt) frei zugängliche, inhaltlich unfixierte Klanginstrumente, die jede beliebige Kommunikationsform ermöglichen, Raum-Formen, die sich durch Bewegung erschließen.Bewegung steckt latent in der Spannung, in die Kunstic den Stahl versetzt; sie wird ausgelöst durch die Bewegungen Anfassen, Streichen, Schlagen, Blasen, Hören und korrespondiert mit der klingenden Bewegung der federnden Stahlbänder und der Schwingung der Metall- und Holzkörper. Bewegung kommt auch zum Ausdruck im nur allmählich wahrnehmbaren Korrosionszerfall der unkonservierten Metalle: Bewegung ist es, die das Erleben der Skulpturen ermöglicht und Latentes verwirklicht. Leben, sagt Mladen Kunstic, ist Bewegung und jede Bewegung ist Klang; durch Bewegung erlebt man den Klang der Bewegung und nimmt wahr, dass das Leben und die Intensität der Bewegung das Ganze bilden.
Mitbedingend für den Zuspruch, mit dem seine Skulpturen aufgenommen werden, dürfte sein, dass sie nicht allein Objekte der ästhetischen Betrachtung sind, sondern gespielt werden sollen und dazu robust, bizarr, unprätentiös und offen einladen. Sein schönster Moment, so Mladen Kunstic, sei der, in dem er das glückliche, kindliche Lächeln des aus seiner Betrachterrolle gelösten Spielenden sieht.
Schwer fällt es nicht, glücklich zu lächeln, wenn man beginnt, die Möglichkeiten des „ Dirigenten“, eines unter klanglichem Aspekt besonders gelungenen Beispieles zu erkunden: die senkrecht zwischen Stahlbänder befestigten und auf einem schweren, schaukelnden Sockel montierten Eisenstäbe stehen ganz dicht im Halbkreis beieinander und beginnen bei sparsamstem Bewegungsanreiz miteinander zu vibrieren. Durch Streichen, Zupfen, Dämpfen usw. entsteht ein unerhörtes Spektrum sich immerfort verlagernder, phantastischer Klänge. Kunstics Werke, hier vom Musikalischen her aufgefasst, lassen sehr verschiedene Annäherungen zu. Tatsächlich integrieren sie musikalische, bildhauerische, malerische, philosophische, geistige, spielerische Aspekte zu einem Ganzen, das die Wahrnehmung spielender-, hörender-, sehender-, fühlender- , denkenderweise auf sich zieht. Liegt darin nicht schon das Wirklichwerden von etwas Latentem?


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