Gedanken zu 173 Kathedralen für die Welt Translations Kontakt Impressum

"Malerei"


Mladen Kunstic – auf dem Weg…



Text Dr.Christine Vogt

Kunsthistorikerin Suermondt Ludwig Museum Aachen 2005

Mladen Kunstic ist Bildhauer, Klangkünstler, Maler, Zeichner und Collagist. Alle diese Fähigkeiten – mal mehr, mal weniger hervorstechend, mal in die eine, mal in die andere Richtung weisend – lebt er in seiner Kunst.
In seinen frühen Arbeiten geht er dabei von der Skulptur aus. Große, mächtige und massige, oft maschinenartige Gebilde aus rostigem Stahl entstehen, die den Betrachter zu Berührung und Dialog auffordern. Durch Ziehen, Zerren, hoch und herunter Bewegen, durch die eigene Mitwirkung werden den Arbeiten Töne, von sanft bis zum Getöse, entlockt. Aus Fundstücken, den sogenannten Objects trouvés, setzt Kunstic die Klangskulpturen zusammen. Weggeworfene Gegenstände, auf den Schrott gebrachte Teile werden von ihm zu neuen Objekten zusammengesetzt, die nun in ihrer sperrigen Rostigkeit neu erklingen.
Anfang der 1990er Jahre verändert Kunstic sein Material und schafft Skulpturen aus Federstahl. Nun mit edlerem Material und klareren Formen, setzt er sich neu mit dem Begriff der Bildhauerei auseinander. Immer noch spielt der Klang eine zentrale Rolle. Doch bringt nun nicht mehr der Mensch die Kunstwerke zum Klingen, sondern die Natur. In verschiedenen Projekten stellt Kunstic seine meist großformatigen Werke in der Natur aus und gibt ihnen dadurch eine neue Dimension. Zufall und Zeit spielen hier eine größere Rolle als bei früheren Arbeiten. Die blanke Oberfläche der Federstahlbänder wird von der Natur durch Licht und Schatten und die Farbigkeit der umgebenden Vegetation modelliert, der Künstler tritt zurück, die Natur als Gestalterin tritt hinzu. Durch den Wind wird nicht nur der Klang, sondern auch in einem nicht endenden Variationsreichtum das Spiel von Licht und Farbe verändert.

Malerei
Wandlungsfähig und experimentierfreudig wendet Mladen Kunstic sich Mitte der 1990er Jahre von diesem für ihn nun schon in weiten Teilen gegangenen Weg ab, einer neuen Herausforderung, einem neuen Gestaltungsprinzip zu: Der Bildhauer wird zum Maler. Während zahlreiche andere Künstler zunächst in der Malerei arbeiten und dann zur Skulptur kommen, geht Kunstic den umgekehrten Weg. Sein breit gefächertes Interesse an unterschiedlichen Themen und Richtungen hatte sich schon deutlich bei den Skulpturen gezeigt, doch bietet die Malerei nun noch weitere und neue Ausdrucksmöglichkeiten. Weg vom harten und spröden Stahl, tastet sich Kunstic langsam und beharrlich an die neue Gattung heran. Der im Grundsatz als Outsider zu sehende Künstler, der nach einer Elektrolehre am Abendgymnasium das Abitur nachholte und anschließend an der RWTH Aachen Kunst und Sozialwissenschaften studierte, arbeitet sich zielstrebig und eigenwillig in das neue Gebiet ein. Dabei behält er seine Vorlieben für gefundene und vorgefundene Dinge bei und arbeitet diese in nun ganz neuer Art und Weise in seine Arbeiten ein. Der „horror vacui“, die Angst vor der Leere und hier wohl besonders vor der leeren Leinwand, brachte Kunstic dazu, seine Leinwände vor dem eigentlichen Malvorgang zu bedecken und zu gestalten. So sind seine Gemälde immer zugleich auch Collagen und sprengen in ihrer Eigenwilligkeit den angestammten Gattungsbegriff.
Kunstic findet Kunst- und Auktionskataloge, Computeranleitungen und Bibelfragmente, mittelalterliche Spielanleitungen und Notenblätter. Diese bringt er nach dem Prinzip des gesteuerten Zufalls – Zufall, dass gerade diese Seiten in den Fundobjekten vorhanden sind – gesteuert, da die Wahl und Anordnung durch den Künstler geschieht – in seine Werke ein. Die schnelllebigen Produkte der Industriegesellschaft (Auktionskataloge, Computerbetriebsanleitungen etc.) - heute aktuell, morgen veraltet - bringen eine besondere Art der Zeitigkeit in seine Malerei. Als Untergrund werden sie dem Kreislauf der Wegwerfgesellschaft entrissen und in eine – wenn auch umgedeutete – Dauerhaftigkeit überführt. Wie die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts in der Einstellung der Zeitgenossen die nur wenige Sekunden real existierende Seifenblase für Jahrhunderte auf die Leinwand bannte und somit die Vanitas, die Vergänglichkeit aufheben kann, nutzt auch Kunstic die Möglichkeit der Malerei, um einen neuen Denkanstoß in diese Richtung zu geben. Die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft wird beleuchtet, die Schnelllebigkeit der Kunst – besonders bei dem von ihm mit Vorliebe verwendeten Messekatalog der Art Cologne – wird kritisch betrachtet. Heute noch ein großes Werk der modernen Kunst, morgen schon in Vergessenheit geraten und mitsamt dem Hochglanzkatalog auf dem Müllberg der Kulturen gelandet.
Doch werden die untergründigen und vielschichtigen Inhalte der Malerei Mladen Kunstics nicht auf den ersten Blick, sondern nur bei näherer Betrachtung deutlich. Der Künstler übermalt seine Träger, die auch auf der Bedeutungsebene die Grundlage für sein Tun bilden. Er übermalt und überdeckt sie, verfremdet dadurch ihr Bild, erschwert ihre Lesbarkeit, enthebt sie der Eigenständigkeit und des Eigenwertes. Doch bleiben sie immer in seiner Malerei präsent, in ihren Farben wie ihren Formen.
Nach der langen und manchmal schwierigen Auswahl des „Untergrundes“ verfährt Kunstic bei der Wahl des Bildthemas ähnlich. Auch hier verwendet er Fundstücke aus der immer weiter anwachsenden Flut der Bilderwelt und spielt mit der Imagination und der Kenntnis des jeweiligen Betrachters. Schon bei seinen frühen Klangskulpturen zeigte der Künstler einen ausgeprägten Sinn für das Spielerische. Dies hat er in ganz eigenwilliger Art und Weise auf seine Malerei übertragen. So trifft auch hier das Zitat nach Antoni Tapiés zu, mit dem Dr Gabriele Uelsberg 1990 einen Text zu seinen Skulpturen überschrieb: „Kunst ist wie ein Spiel; nur im Zustand der Unschuld erfassen wir ihren tiefen Sinn und wer weiß, ob das nicht für alles Menschliche gilt.“
Die spielerische Herangehensweise eröffnet dem Betrachter seine persönliche Lesart der einzelnen Werke, die immer eine offene Interpretationsmöglichkeit bieten. Zwar hat der Künstler häufig konkrete Ansätze im Kopf, öffnet seine Arbeiten aber jeder anderen oder weitergehenden Auslegung. Bei den Siegern wählte er als Vorlage für die Männergruppe eine Fotografie aus den 1960er Jahren, die eine Gruppe Arbeiter zeigt. In Siegerpose reißen zwei der vier Männer die Arme hoch. Verschiedene Versatzstücke können den Betrachter auf das Thema der Arbeiter und eines politischen Inhalts führen. Die Brillen können als Schutzbrillen gelesen werden, die Frisur der nach vorn ausgerichteten Hauptfigur weist auf eine gewisse Zeitmode hin, und nicht zuletzt deutet das an den linken Bildrand gesetzte und deutlich zu erkennende Porträt Willy Brandts in eine politische Richtung. Bei unbedachterem Betrachten könnten die Brillen aber auch als Taucherbrillen interpretiert und die Gruppe für einen Verein von Schwimmern und somit Protagonisten eines sportlichen Ereignisses gesehen werden.
Spannungsreich ist, wie Kunstic seine Unterlage und die darüber gelegte Darstellung miteinander verbindet und zu einem einheitlichen Bild kombiniert. Dabei bleiben die Bedeutungsträger – wie das Brandt-Porträt oder die Betonung der Kunst durch den Schriftzug Die Art (am rechten Bildrand) - bestehen. Er legt seine Figuren größtenteils nur in den Konturlinien an und gewährleistet so einen „Durchblick“ auf den Untergrund. Dabei werden die Struktur der Grundlage und teilweise auch ihre Farbigkeit mit berücksichtigt. Wie bei den Siegern bildet der Untergrund oft ein Raster, bestimmt durch die rechteckige Größe der (Katalog-)Blätter, oder es ergibt sich eine waagerechte Struktur, wie es die eingearbeiteten Notenblätter hervorbringen. Auch werden einzelne Fragmente des Untergrundes zu Gestaltungselementen, wie die Zielscheibe, die hier auch als „Achselhaare“ gelesen werden kann. Hier zeigt sich eine für Kunstic typische und prägende Eigenschaft. Trotz aller möglichen inhaltlichen Interpretationen hat er sich immer ein Augenzwinkern und eine gute Portion Humor bewahrt.
Auch bei der Wahl der Titel, die zum Werk mit dazu gehören und Kunstic teilweise als Wortkünstler zeigen, spiegelt sich sein Augenzwinkern. Als Frauchen bezeichnet er seine Verarbeitung des wohl berühmtesten Marilyn-Monroe-Bildes, des Film-Stills aus Das Verflixte siebte Jahr. Er spielt mit dem Wissen des Betrachters, der wohl in den allermeisten Fällen diese Vorlage entziffern kann, und legt dem Sexsymbol der 50er und 60er Jahre einen auf dem Rücken liegenden und nach Streicheleinheiten bettelnden Hund zu Füßen. Zwar scheint sich die Filmdiva nicht an ihrem Begleiter zu stören, doch ermöglicht ihm seine Position einen direkten Blick unter den Rock, eine Begehrlichkeit der Betrachter, mit der das Bild spielt und aus der es seine Wirkung zieht. Wieder liegen Werke der bildenden Kunst – ebenfalls teilweise Ikonen des kollektiven Bildgedächtnisses – der Darstellung zugrunde. Der Schriftzug „Die Art“ durchbricht die Linie des tief liegenden Horizonts.
Der Hund und im Umriss wiedergegebene Figuren der (Kunst-) Geschichte begegnen dem Betrachter auch in anderen Bildern. So warten Henri Toulouse-Lautrecs Damen der Halbwelt – dem mittelalterlichen Herrscher beim königlichen Spiel des Schach zusehend – unter dem Titel Wartespiele auf ihre nächsten Kunden. Das Embryo Leonardo da Vincis bildet mit Picassos Figur des Denkers, aber auch des Verzweifelten eine Schnittmenge. Kunstic stellt in diesen Arbeiten, in denen er konsequent der Figur als Gestaltungsmittel treu bleibt, die Dinge in einen neuen Zusammenhang.
Nach seinen Skulpturen sucht Mladen Kunstic mit der Malerei neue Wege, bleibt aber auch vielen seiner Interessen und Vorlieben treu. So zeigen die Buchblumen, die Gartenmusik und die Notenblätter immer wieder aufs Neue seine große Liebe zur Musik. Diese wird noch überlagert durch die Liebe zur Natur, die hier in Form von Blatt und Blüte in Erscheinung tritt. Und noch ein weiterer Aspekt zeigt sich hier deutlich, der auch schon in den bisher besprochenen Bildern angelegt ist: Die Befragung der Reihung. So kehren die Blüten und Blätter immer wieder. Sowohl der Untergrund in seinen Strukturen – besonders bei den Noten –, als auch das florale Element weisen Reihungen auf. In der Komposition werden Blüten und Blätter, manchmal nur in ihrer Farbigkeit unterschieden, eingesetzt und können sich bis zum Ornamentalen verdichten. Der „Klang“ dieser Werke spielt dabei eine zentrale Rolle.Mladen Kunstic erweist sich in seinen Arbeiten als äußerst vielseitiger und beeindruckend kreativer Künstler. Nicht nur in den Techniken und künstlerischen Medien sucht er nach immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Herausforderungen, auch bei den Themen zeigt sich eine erstaunliche Bandbreite. Sozial- und gesellschaftspolitische Themen stehen neben romantischen und musischen Arbeiten, Augenzwinkern und Ironie neben Ernsthaftigkeit und Anteilnahme. Dieser dynamische Weg wird auch in Zukunft viel Freiraum für neue künstlerische Ausdrucksformen bieten.


Text als PDF-Datei herunterladen [35 KB]


Nach Oben