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"Graphik"


Mladen Kunstic – auf dem Weg…


Text Dr.Christine Vogt
Kunsthistorikerin Suermondt Ludwig Museum Aachen 2005

Manufactus Edition 1000
Während Kunstic bei den großen Formaten zunächst Skulpturen herstellt und sich dann der Malerei zuwendet, beschäftigt er sich seit 1989 kontinuierlich mit einem kleinformatigen Bereich, der als grafische Collage bezeichnet werden kann. Auch hier widersetzten sich seine Arbeiten den klassischen Gattungsbegriffen. Besonders bei den frühen Arbeiten spielt der Einfluss seiner Skulpturen hinein, der später zugunsten einer stärker malerischen Ausrichtung abgelöst wird. Die chronologisch angelegte Folge spiegelt seine sich verändernden künstlerischen Schwerpunkte.
Das Stehkreuz aus dem Jahre 1989 ist ein Beispiel für die Nähe zur Skulptur. Nicht nur in der Materialität – Papier und Metall – weist es auf die Dualität zwischen Grafik und Skulptur, auch in seinen Wandlungsmöglichkeiten gehört es zum einen wie zum anderen: das Kreuz kann die Zweidimensionalität der Grafik zugunsten der Dreidimensionalität der Skulptur verlassen.
Die Idee der Jahresgabe hat Mladen Kunstic zu diesen Arbeiten angeregt. Er selbst betitelt die Reihe als Manufactus-Edition, also als das Handgemachte, und sieht sie zusammenhängend wie auch als Einzelstücke. Hier bietet sich für den Künstler die Möglichkeit, am Ende eines Jahres über das Vergangene zu reflektieren und dies künstlerisch umzusetzen. Dabei ist die Wahl der Themen völlig subjektiv, oft sogar sehr persönlich. Er wählt aus, was ihn beschäftigt, unabhängig davon, ob es vielleicht banal erscheint. Dem Betrachter steht dabei offen, ihm zu folgen oder sich ganz eigene Gedanken, Interpretationen und Vorstellungen zu machen. Die von Kunstic sorgfältig und manchmal nahezu philosophisch ausgewählten Titel können dabei den Weg weisen oder genau vom Weg abbringen. Wobei die jeweilige Ausdeutung des Einzelnen auch immer für diesen richtig ist.
Bahnübergang heißt das blaue Kreuz, durch ein Federstahlband zu einem doppelbalkigen Kreuz ergänzt. Er lässt Assoziationen zur Verbindung der Kulturen zu. Die Form erinnert an das russische Kreuz, während man bei Bahnübergang an das westliche Andreaskreuz denken kann. Der Übergang zwischen den beiden Kulturen ist hier von dem in Zagreb, im ehemaligen Jugoslawien/heute Kroatien geborenen Künstler geöffnet worden. Auch die Zwei-Heit thematisiert das Doppelte, das Verschiedene und das doch Zusammengehörige – Metall und Papier, Skulptur und Grafik, Ganzes und Geschnittenes, Farbiges und Weißes – um nur einige der Gegensatzpaare zu nennen, die bis weit in den sozial-kulturellen Raum erweitert werden könnten. Dass die Interpretation bis in den gesellschaftlichen Bereich ein Anliegen Kunstics ist, zeigt die Arbeit Heimat. Zwei rote Herzen werden in Frottagetechnik auf das glatte Papier übertragen und zeigen die beiden Herzen des

Künstlers. Während das hintere, rote und unversehrte Herz für seine deutsche Heimat steht, zeigt das weiße kroatische Herz das Geschoss, mit dem es getroffen wurde. Der Krieg, der sein Heimatland so lange erschüttert hat, wird in diesem Akt sichtbar und fühlbar. Die Zwei-Heit als Thema des Vorjahres scheint sich auch hier auf die Heimat zu beziehen.
Dabei bieten die Editionen Mladen Kunstic die Möglichkeit, in den unterschiedlichsten Techniken zu arbeiten und sich darin auszudrücken. In Farbe wie Form äußerst reduziert, zeigt sich der Vorhang als „geschnittenes Bild„. Das neue Haus zeigt in dieser Edition erstmals eine besondere Vorliebe Kunstics, nämlich den Einsatz von Stempeln. In der (Kunst-) Geschichte haben Stempel eine uralte Tradition. Sie bieten zum ersten Mal die Möglichkeit, z.B. Muster im Rapport zu bringen, aus ihnen entwickelt sich im 15. Jahrhundert der Holzschnitt, und in den asiatischen Ländern werden sie als Namensstempel und Signaturen benutzt. In unserer Gesellschaft sind sie – meist amtlich - ein Symbol der Macht, verkünden häufig vermeintliche Wahrheiten und verweisen auf Rechtsakte. Die Stempel, die Kunstic verwendet, können sowohl objects trouvés sein, die aus einem Verwaltungsbereich aussortiert wurden oder übrig geblieben sind und nun in seiner Kunst ihre Botschaften besiegeln, oder der Künstler lässt sie je nach Bedarf und Thema anfertigen. So werden die Belange des Neuen Hauses vom Betriebsrat bestätigt, während die Zentrale sich durch das untrügbare Merkmal des Fingerabdrucks ausweist. Neben solcher persönlicher Merkmale wie einem Umzug oder einer Verletzung – Kreuzfinger – die aber so zum ganz besonderen persönlichen Merkmal wird, kommen auch weltpolitische Themen wie Hunger oder der Kampf der Kulturen vor.
Der zunehmende Einsatz von Farbe in den Arbeiten Kunstics kündigt sich in dem Dreiklang der Grundfarben Blau – Rot – Gelb von 1997 an, die der Künstler aufträgt und mit dem Rakel aus dem glatten Papier wieder herausreißt, was die besondere Struktur bedingt. Dass die „Kündigung per Kopie„ hier einen Beginn (für Kunstic den seiner Malerei) markiert, kann ebenfalls offen interpretiert werden. Im Grundfarbenkontrast von Blau und Rot führt er ein Jahr später sein Thema des Netzwerks aus. Auch hier kommt zu der malerischen, wieder mit dem Rakel bearbeiteten Farbe die Form der Collage hinzu, indem er ein Gewebenetz, vielleicht als Leitraster für den gedanklichen Prozess, mit hineinbringt.
Wiederum persönlich und romantisch ist die Arbeit Frankreich, die der Künstler nach einem Aufenthalt in dem westlichen Nachbarland anfertigte. Jeder Betrachter verbindet mit diesem Land und den Landesfarben, die hier in der geschnittenen Struktur des Bildes auch an die Flagge erinnern, eigene Erinnerungen und wer denkt bei Paris nicht an die Stadt der Liebe.
Die Arbeit, die bisher wohl am stärksten mit den Gesetzen der Malerei spielt, ist Reminder, wenn auch die inhaltliche Ausdeutung in ganz andere Bereiche gehen kann. Zunächst setzt Kunstic den Komplementärkontrast Rot und Grün auf das Papier, in der ausgedehnten Form von Punkt und Linie. Durch die breiten Pinseldimensionen kommt die Fläche mit ins Spiel, und so sind die wichtigsten

Gestaltungsmerkmale der Malerei in minimaler Ausführung vorhanden. Der zugefügte Stempel gilt als Gedächtnisstütze („Reminder!) und fordert uns auf „Bleib’ hier!„ Vielleicht ist es auch eine unbewusste Aufforderung des Künstlers an sich selbst, nun bei der seit 1997 für ihn neu entdeckten Gattung der Malerei zu verweilen.
Doch zeigt er in den Arbeiten der Edition an anderen Stellen eine sehr wenig malerische Bildfindung, wie in Dont forget! aus dem Jahre 2002. Hier ist es ganz das schockierende Erlebnis der Zerstörung der Twin Towers des World Trade Centers in New York und der damit verbundene Tod vieler tausend Menschen am 11. September 2001, das seine Jahresrückschau dominiert. Zwei hochformatige Stempel symbolisieren die Türme, während andere die Versicherungsmentalität der Menschen ad absurdum führen. Den Sockel der Türme bildet die Mitteilung einer „Bestätigung„ und „Kasse bitte zahlen„. Besonders schmerzhaft weist das Wort „Erloschen„ auf die unfassbaren Ausmaße dieses Terroranschlags. Die Aufforderung des Künstlers Don’t forget! sollte hier von allen Betrachtern wörtlich genommen werden.
Hochkomplexe, der Wegwerfgesellschaft entstammende Dinge wie der Eckenschutz werden von Kunstic wie eine Art Ready made übernommen. Durch Aufklappen der Pappen entsteht ein Bild mit verschlüsselten Botschaften („30 x 40„, „b+h„) und eigener skulpturaler wie ästhetischer Wirkung. Aus einem anderen Fundstück, einem Gesangbuch, nimmt Kunstic die Seite mit dem „Agnus Dei„ heraus. Große rote Stempel rahmen die Gesänge mit der Botschaft „sofort vorzulegen„, der gestempelte Wochenablauf der Arbeit Days warnt am Mittwoch zur „Vorsicht„.
Eine neue Bearbeitungsmethode findet Kunstic in der Arbeit Homosapiens von 2005. Zwei Füße bzw. Fußabdrücke verbinden sich und enden in Spiralen. Sie wurden vom Künstler in das Papier gefräst, eine Bearbeitungsmethode, die für Papier ganz untypisch ist. Dieses Herausnehmen der Kontur schafft einen eigenen ästhetischen Effekt und zeigt die Experimentierfreude und das kreative Potential Kunstics auch im Bereich der Techniken.
Momentan ist Homosapiens das letzte Blatt des Zyklus. Dies wird nicht so bleiben, da der Künstler mit der Manufactus Edition 1000 ein langangelegtes Ziel verfolgt. Zu jedem folgenden Jahr wird eine weitere Arbeit entstehen und die Reihe komplettieren. Die Vision Kunstics sieht vor, Jahr für Jahr ein neue Arbeit zu gestalten, so dass die Edition am Ende seines (Lebens-) Weges als eine Art Rückblick auf sein künstlerisches Leben bedeutet. Damit wird der Vergänglichkeit des Lebens der Gedanke des Überdauerns der Kunst entgegengestellt.

Manufactus Edition 71
In einer zweiten Folge, der Manufactus Edition 71, beschäftigt Kunstic sich weiter mit dem kleinen Format. Die in den Jahresgaben anklingenden Möglichkeiten werden hier ausgebaut und weiter befragt. Die kleine Auflage von 71 Multiples erwähnt der Titel. Kunstic selbst bezeichnet die Werke als eine Art Reservoir der Kreativität, wo er umsetzen kann, was ihm beim Malen großer Formate einfällt und wofür er eine

andere Ausdrucksmöglichkeit als die Malerei sucht. Viele der Blätter zeigen politische, zeit- und gesellschaftskritische Aspekte, die aber wiederum - ganz nach Kunstics Art - auch mit einem Augenzwinkern zu lesen sind.
Die Frottage und der Stempel, aber auch die Collage spielen bei diesen Arbeiten auf Papier eine große Rolle. So überträgt der Künstler in der Frottagetechnik in Brain book eine Kreuzstruktur auf das Papier und stempelt die Aufforderung „BÜCHER Bleibt hier!„, nur auf den zweiten Blick zu entziffernd zwischen den Strukturen. Auch beim Brain storm sind überkreuzende Bänder auffrottiert, die wie ein großes Geflecht erscheinen, in der Mikrostruktur aber kristallin sind. Hier werden Kunstics Arbeiten ganz dem nahsichtigen Medium der Grafik gerecht, wo im Kleinteiligen eine eigene Struktur und damit auch Bedeutungsebene sichtbar werden kann. Die kristallinen Formen, die eine bemerkenswerte Vielfalt aufweisen, können hier – unter dem Titel „
Brain storm„ – sowohl auf den großen Einfallsreichtum der Natur hinweisen als auch auf die Gehirnwindungen selbst. In der Makrostruktur verkünden die Stempel nüchtern „Zweitschrift Bücher Bezahlt„.
Als ernster und tiefsinniger Künstler erscheint Kunstic, wenn er den Bildschmuck aus Todesanzeigen zu einer Collage zusammensetzt und mit Stempeln in Kreuzesform überdeckt, die nach Vertragsnummern und Auszahlungen fragen. Der Titel „Was bleibt„ stimmt nachdenklich und weist auf die Vergänglichkeit des Lebens und den Fortbestand des bürokratischen Aktes.
In verschiedene Werke bringt der Künstler sich selbst mit ein, in Form seines aufgestempelten Namens. Dabei wird der Stempel zum Selbstporträt. Dies kann wie beim „Kunstic Kreuz„ in Verbindung mit auch in anderen Werken verwendeten Formen geschehen: die Hintergrundstruktur findet sich in einer Reihe weiterer Arbeiten und den Stempel „Kreis im Quadrat„ hat der Künstler u.a. auch bei den „Bullaugen„ verwendet. Aber auch in der Stadtkulisse von München mit den beiden markanten Türmen der Frauenkirche ist Kunstics Selbstporträt präsent. Im „One Way„ ist er gefangen im geschlossenen Kreis seiner gestempelten Identität und der Stempel im Zentrum „Entgelt zahlt Empfänger„ ist ein Hinweis auf die Verbindung von Kunst und Wirtschaft. Wie üblich mit einer guten Portion Ironie zeigt sich Kunstic über der zweiten Arbeit mit Münchener Hintergrund als „Säule der Gesellschaft„, die auf drei etwas wackeligen Pfeilern ruht.
Im „1. Februar„ arbeitet Kunstic ein Blatt aus einem gefundenen Gesangbuch ein, rahmt dieses mit seinen Namensstempeln, warnt in der Mitte vor Büchern und Brief und gibt in der Doppelung die Bearbeitung bekannt: Auf EDV übernommen Dat. 01. Feb. Ein Hinweis auf den baldigen Verlust von haptischem Wissens- und Informationsmaterial ( Bücher, Zeitungen, Briefe ) und den Beginn einer neuen Zeit der elektronischen Medien.
Seine romantische Ader zeigt der Künstler in der Manufactus Edition 71 in verschiedenen Blumenstücken und der „Arbeit Aachen wa!„, in der er die Liebe zu seiner Wahlheimat thematisiert. In „Aachener Dom„ bringt er eine neue Technik ein, er siegelt in rotem Lack das Wahrzeichen Aachens aufs Papier. Hierzu benutzt er eine Schokoladenmatrize eines bekannten Aachener Süßwarenherstellers. In

altdeutscher Schrift wird das „Deutsche„ benannt, mit einem neutralen Stempel „Päckchen Paquet„. Kunstic öffnet dem Betrachter Denkräume, die es auszufüllen gilt.
Gesellschaftskritisch wird es in der Arbeit „Europa Grenze„, in der das kleine Kreuz an die vielen Toten erinnert, die diese noch „offene Grenze„ in der Vergangenheit gefordert hat. Bei der „Erinnerung„ siegelt Kunstic den „Europa Geier„ in Form eines 10 DM-Geldstücks auf das mit einer schwarzen Struktur bedeckte Papier. Wird es ein Europa der Menschen, die auf der Grundlage von sozialer und kultureller Gleichberechtigung und Gerechtigkeit leben oder ein Europa der „Europa Geier„?
In den jüngsten Arbeiten setzt Kunstic sich in erster Linie mit der deutschen Geschichte auseinander. Fundstücke in Form von alten Briefmarken finden hier Verwendung. So weist die „Spurbreite„ eine Briefmarke mit „Hitlerkopf„ und „Reichsbahn Stempel„ auf und gibt 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erneut Anstoß zur Auseinandersetzung mit dem 3. Reich.
Das „Brandenburger Tor„, ebenfalls durch eine historische Briefmarke vertreten und mit dem Stempel des aufgehenden Kreuzes bekrönt, kann an die jüngeren deutschen Ereignisse wie Mauerfall und Wiedervereinigung denken lassen. Dabei kann das Kreuz auch als Zeichen des Christentums gelesen werden und an die aktive Unterstützung des Papstes Johannes Paul II. in diesem politischen Prozess erinnern. Der historische Gang des Kirchenoberhauptes mit dem Altbundeskanzler Helmut Kohl 1996 durch das Brandenburger Tor, war hier die symbolische Geste für die Macht der Freiheit und Friedfertigkeit. Für den aus Kroatien stammenden Künstler war die Auflösung der deutschen Mauer und des Kommunismus von besonderer Bedeutung. Die „braune Soße„, die den Hintergrund dieser Arbeit bildet, erinnert aber auch an eine andere Vergangenheit, die zum Mauerbau geführt hat, die nicht wiederkehren darf.
Mladen Kunstic erweist sich in seinen Arbeiten als äußerst vielseitiger und beeindruckend kreativer Künstler. Nicht nur in den Techniken und künstlerischen Medien sucht er nach immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Herausforderungen, auch bei den Themen zeigt sich eine erstaunliche Bandbreite. Sozial- und gesellschaftspolitische Themen stehen neben romantischen und musischen Arbeiten, Augenzwinkern und Ironie neben Ernsthaftigkeit und Anteilnahme. Dabei bieten ihm die Manufactus Editionen einen besonderen Raum der Freiheit, seine Ideen umzusetzen, seine Themen in die Welt zu bringen. Dieser dynamische Weg wird auch in Zukunft viel Freiraum für neue künstlerische Ausdrucksformen bieten.


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